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Schmerzhafte Seiten des schnellen Spiels

Lange Krankenliste in Nationalelf und Bundesliga: Die Folgen des erhöhten Tempos scheinen auch auf dem Operationstisch sichtbar zu werden. Doch es fehlen belastbare Studien. Klaus Eder der in der ersten Halbzeit des WM-Qualifikationsspiels im September auf den Platz gerannt war, wie er es seit 25 Jahren macht ereilte mitten im Spurt ein stechender Schmerz: Muskelfaserriss. Folge: Operation. Eder selbst nach der OP:“ Ich muss jetzt dass umsetzen, was ich meinen Patienten immer erzähle, Geduld ist wichtig man darf nicht zu früh zu große Fortschritte erwarten“. Bei den Länderspielen in Italien und England verlängerte sich die deutsche Verletztenliste nochmal gehörig: Sami Khedira erlitt einen Innenbandriss sowie einen Riss des vorderen Kreuzbandes rechts, Mats Hummels einen knöchernen Bandausriss am rechten Fersenbein und Marcel Schmelzer einen Muskelfaserriss in der rechten Wade. Aber diese Liste im deutschen Fußball geht weiter: Frank Ribery angebrochene Rippe, Schweinsteiger Sprunggelenk, Ilkay Gündogan Rückenverletzung, Subotic Kreuzbandriss, Piszcek Hüftoperation, Shaqiri Muskelbündelriss, Badstuber Kreuzbandriss zum zweiten Mal. Was bei diesen inflationären Verletzungen in diesen Tagen hervor zu heben ist, sind die Fortschritte in der Diagnostik. Risse oder Einrisse lassen sich mittlerweile ganz exakt erkennen. Während man früher nur von einem verdrehten oder verstauchten Knie gesprochen hat. An der größeren Belastung für die Spieler, vor allem in den Spitzenclubs, besteht für Eder nach jahrzehntelanger Erfahrung kein Zweifel. Der Gedanke, dass der schöne, schnelle Fußball seine Kinder frisst, liegt nahe. Heutzutage kennt man bis auf die Ziffer hinter dem Komma ganz genau die Ballkontaktzeiten und Passgenauigkeit. Es lässt sich wissenschaftlich nicht genau sagen wie es um den Zusammenhang zwischen Dauerbelastung und Bänder- und Muskelrissen aussieht. Die Folgen des erhöhten Tempos werden nicht nur auf dem Platz, sondern auch auf dem OP-Tisch sichtbar. Im Fußball gibt es mittlerweile alle 6 Sekunden einen Richtungswechsel. Durch die deutlich erhöhte Geschwindigkeit im Spiel entstehen hierbei schnell entsprechende Traktions- und Rotationsbelastungen auf Muskeln und Bandapparat. Das Ergebnis dieser „schnellen Situation“ sieht man beispielhaft bei Khedira und Subotic. Kreuzbänder sind eigentlich reißfester als Stahl. Die Reißfestigkeit liegt bei rund 200kg. Aber durch das hohe Tempo der Spieler genügt mittlerweile ein recht kurzer Bodenkontakt des Fußes um eine solche Verletzung im Knie herbei zu führen. Das Knie muss sich dabei nicht mehr so stark verdrehen wie früher bei niedrigem Tempo. Die Schnelligkeit in den Aktionen führt dazu, dass die Muskeln wenig Chance haben einen Reflex abzuschießen, der das Gelenk schützt. Der arthrokinetische Reflex bewahrt Gelenke bei Gefahr vor Schädigungen. Bewegt man sich im Spiel oder Training auf eine Weise, die das Nervensystem als Bedrohung ausmacht, gibt das Rückenmark Nervenimpulse an die Muskulatur ab um die Kontraktionskraft drastisch herab zu setzen und den Bewegungsapparat damit vor Schädigung zu bewahren. Das ist heute oft gar nicht mehr möglich. Verletzungen wie Kreuzbandrisse gefährden für manche Spieler nicht nur die WM, sondern auch die Karriere. Schafft der Patient ein Comeback nach sechs Monaten bei einer Verletzung wie einem Kreuzbandriss, ist alles so gelaufen, wie man es sich wünscht. Dies läuft im Hochleistungssport leider selten so ab. Holger Badstuber ist dafür das letzte und aktuellste Beispiel. Im Dezember 2012 verdrehte er sich das Knie und wurde zwei Tage später operiert. Man rechnete mit einem Ausfall von sechs bis acht Monaten. Im Sommer Riss das Kreuzband abermals. Nach der zweiten OP geht es nun in der Reha darum, das Kniegelenk in die gesamten Körperabläufe und Kettenreaktionen des Körpers zu reintegrieren. Wann eine solche Verletzung ausgeheilt ist, lässt sich nicht vorhersagen, denn jeder Körper reagiert anders.

Ausschnitte von FAZ vom vom 23.11.2013